Doris Schneilinger - Doula & Stillberaterin
Ammenmärchen zum Thema Stillen halten sich seit vielen Jahren hartnäckig und verbreiten sich weiterhin rasant. Stammen viele dieser Glaubenssätze zum Teil aus den 50er-Jahren, dauert es noch immer, bis sich die neuen Erkenntnisse aus Forschung, Medizin und vor allem langjähriger Erfahrung durchsetzen. In den 70ern galt zum Beispiel der Wochenfluss als so infektiös, dass Neugeborene sich nicht zu ihren Müttern kuscheln durften, um ja nicht angesteckt zu werden (ich weiß es noch genau, ich war dabei). Ende der 90er-Jahre war uns Jung-Müttern die Wichtigkeit des ersten Beziehungsaufbaus über den Hautkontakt sehr wohl bewusst - und in den vergangenen 30 Jahren hat sich zu diesem Thema viel getan.
Doch warum sind viele Mamis noch immer überzeugt davon, dass Linsen im Wochenbett Blähungen bei ihren Kleinen auslösen? Warum gibt es noch immer das Gerücht, dass Frauen mit kleineren Brüsten zu wenig Milch für ihre Babys haben? Und woher wissen wir, dass Flaschenbabys schneller durchschlafen als Stillkinder? Alle scheinen fundierte Meinungen zu haben, die er/sie auch gerne ungefragt mit dir als frischgebackene Mutter teilt.
Gerade als Erstlings-Mama bist du in der ersten Zeit des Mutter-Werdens sensibel und verletzlich, saugst alle Tipps, Tricks und Ratschläge aus deiner Umgebung auf wie ein Schwamm. Unsicherheit, Zweifel, Sorgen, tausend Fragen – all das wird mit der Geburt deines kleinen Wunders mitgeliefert. Das hat die Natur so vorgesehen, deine Sinne sind auf die Versorgung und den Schutz deiner Nachkommen ausgerichtet, genau so soll es auch sein. Du weißt ja, Säbelzahntiger & Co lauern vor deiner Höhle.
Deine Schwiegermutter weiß die Lösung!
Du suchst nach Antworten und Lösungen, willst um jeden Preis alles richtig machen. Da kommt dir die halbe Zwiebel im Eintopf vom Vortag gerade recht als Erklärung für die unruhige Stunde deines Lieblings. Die Idee, in deiner Ernährung das eine oder andere wegzulassen, ist naheliegend. Problem gelöst. Tatsächlich kann sich die kurzfristig gewonnene Zuversicht und Sicherheit, die perfekte Strategie gegen die abendliche Schreiphase gefunden zu haben, positiv auswirken und die nächsten Tage ohne Zwiebel verlaufen ruhiger.
Doch dann schlagen deine Hormone sofort wieder zu und die nächsten Zweifel kommen auf. Warum schläft gerade dein Baby so schlecht? Wacht nachts jede Stunde auf und will an die Brust. „Kein Wunder, wenn du es bei jeder Kleinigkeit stillst, lernt es bestimmt nie, sich selbst zu beruhigen!“, weiß die Schwiegermutter. Und sie hat ja schließlich zwei Kinder erfolgreich großgezogen, da muss ja was dran sein. (Warum immer die Schwiegermutter für dieses Klischee herhalten muss, kann ich nur vermuten - ich entschuldige mich jedenfalls bei allen großartigen Schwiegermüttern da draußen.)
Du stolperst jedenfalls von einer „Problem sucht Lösung!“-Falle in die nächste. Die Entwicklung eines Kleinkinds – vor allem im ersten Jahr – geht so rasant, jeden Tag tauchen neue Fragen auf, zu der du (wie alle anderen Mamis auch) verständlicherweise gerne die passende Antwort mitgeliefert bekämst. Frau Dr Google ist in den meisten Fällen übrigens keine Hilfe – ganz im Gegenteil. Such dir eine Stillberaterin in deiner Nähe und (Achtung: gut gemeinter Ratschlag!) besuch eine Stillgruppe, dort gibt's auf jeden Fall geteiltes Leid und umso mehr Bestätigung, dass du nicht die Einzige auf der Welt bist, deren Baby nur eng an dich gekuschelt im Familienbett schläft.
Mit einigen der gängigsten Still-Mythen räume ich hier schon mal auf. Und ich möchte dich wieder dazu ermutigen, auf dein Bauchgefühl zu hören und dich wieder vermehrt auf deine Intuition zu verlassen. Du bist die Expertin für dein Baby!
Richtig oder Falsch?
„Wenn ich stille, muss ich bei meiner Ernährung auf Vieles verzichten."
Richtig ist: Muttermilch wird nicht aus deinem Magen- oder Darminhalt gebildet, sondern aus deinem Blut. Darmgase oder auch Kohlensäure gelangen durch die Brustdrüse keinesfalls in die Muttermilch. Dein Baby bekommt also keine Blähungen davon, wenn du Zwiebeln, Hülsenfrüchte oder Kraut ist. Wichtig ist, dass es dir schmeckt und gut bekommt. Ernähre dich ausgewogen und gesund und folge deinem Gusto.
„Stillen tut weh. Das ist ganz normal."
Richtig ist: Stillen versursacht keine Schmerzen! Die häufigste Ursache für viele Anfangsschwierigkeiten wie wunde oder schmerzende Brustwarzen, Milchstau oder eine Brustentzündung ist eine nicht ganz einwandfreie Anlegetechnik. Lass dir die wichtigsten Tipps & Tricks von deiner Hebamme zeigen oder informiere dich bei einer Stillberaterin. Und das am besten schon in der Schwangerschaft.
„Am Tag meines Milcheinschusses sind meine Brüste prall voll mit Milch."
Richtig ist: Der Ausdruck „Milcheinschuss“ ist irreführend. Die Schwellung deiner Brüste resultieren nicht aus der zunehmenden Milchmenge, sondern vor allem aus vermehrter Durchblutung, gestauter Lymphflüssigkeit und Wassereinlagerungen. Die Milchmenge pendelt sich erst im Laufe der ersten Zeit im Wochenbett ein – und zwar nach dem Prinzip „Angebot und Nachfrage“. Hautkontakt und häufiges Anlegen sind dabei der Schlüssel.
„Mein Baby ist jetzt sechs Wochen alt und hängt ständig an meinem Busen. Besonders die Abende sind sehr mühsam. Meine Brüste fühlen sich jetzt gar nicht mehr richtig voll an. Ich glaub, ich hab zu wenig Milch und muss zufüttern!"
Richtig ist: Die Trinkmenge deines Babys hat sich jetzt gut eingependelt, deshalb werden deine Brüste weicher als in den Wochen davor. Das Prinzip Angebot/Nachfrage funktioniert gerade perfekt. Dein Baby hat zudem in diesem Alter einen Wachstumsschub und verlangt deshalb häufiger nach der Brust. Dazu kommt: Die Besiedelung des kindlichen Darms mit guten Bakterien nimmt so richtig Fahrt auf und das führt manchmal dazu, dass abends ordentlich was los ist bei euch. Ganz schön anstrengend! Bleibt aber nicht so.
„Wenn ich meinem Baby ständig die Brust gebe, wenn es unruhig ist, verwöhne ich es und es wird sich niemals allein beruhigen können."
Richtig ist: Dein Baby lebt im Hier und Jetzt. Und es hat Bedürfnisse: nach Nahrung, nach Ruhe, nach Wärme, nach Begrenzung, nach Körperkontakt… All diese Bedürfnisse können an deiner Brust „gestillt“ werden – das hat die Natur so vorgesehen. Je mehr Geborgenheit Kinder bekommen, je sicherer die Eltern-Kind-Bindung ist, desto selbstständiger werden sie mittel- und langfristig. Urvertrauen ist die Basis jeder Persönlichkeitsentwicklung.
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