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Wichtiges im Wochenbett – Gedanken aus psychotherapeutischer Perspektive

Aktualisiert: 16. Aug.

Nina Abraham - Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision


Was ist das, dieses Wochenbett? Eine Frage, die nur auf den ersten Blick durch klare Definitionen schnell zu beantworten ist. Denn wer sich in die Tiefe wagt stellt fest, dass diese Lebensphase so unterschiedlich ist wie die Menschen selbst. Wenn dieser Text eines sein soll, dann der Versuch, die Vielfältigkeit des Wochenbetts zu normalisieren. Statt fester Muster und Meilensteine soll der Fokus auf individuellen Erlebnissen und Empfindungen liegen. Kurz gesagt: Vieles kann sein, wenig muss sein. Die folgenden Gedanken einer Mutter und Psychotherapeutin sind als „bunter Bauchladen“ zu verstehen: Nehmen Sie, was Ihnen gefällt, kombinieren Sie nach Herzenslust selbst und lassen Sie da, was nicht zu Ihnen passt.


Ein Hinweis: Der Begriff Mutter bezieht sich auf die gebärende Person. Die beschriebenen Gedankenansätze, Empfindungen und Phänomene können ebenfalls für Väter und andere Bezugspersonen gelten.


Im Wochenbett und völlig im Mutterglück. Oder wie?

Neu-Mütter kennen sie aus Filmen, Büchern, Liedern und Erzählungen von Freund:innen: all die wunderbaren Gefühle, die eine Mutter erleben darf. Reines Glück, große Liebe, Schmetterlinge im Bauch. Die angenehmen Gefühle sind aber nur eine Seite der Medaille. Ängste, Zweifel, Scham, schwierige Erinnerungen und Trauer um das alte Leben können im Wochenbett ebenfalls auftreten und sich mitunter rasend schnell mit positiven Empfindungen abwechseln. Das ist völlig normal und kein Zeichen dafür, eine ungeeignete oder undankbare Mutter zu sein. Denn Gefühle wollen vor allem eins: gefühlt werden. Wer angenehmen und unangenehmen Gefühlen mit Akzeptanz, Wohlwollen und guter Unterstützung begegnen kann, ist sich selbst eine gute Freundin in einer sensiblen Zeit.


Die Sache mit dem Körper.

Unser Körper verfügt über bemerkenswerte Selbstheilungskräfte und kann sich, manchmal mit medizinischer Unterstützung, von einer Geburt erholen. Dafür braucht er aber vor allem zwei Dinge: Zeit und Fürsorge. Auch wenn die handtellergroße Wunde, die die Plazenta hinterlässt, von außen nicht sichtbar ist, ist sie dennoch da. Hinzu kommen geschwollene Brüste, Schweißausbrüche, Ausfluss und weitere Seltsamkeiten. Es lohnt sich der Versuch, gnädig mit sich selbst in dieser Zeit der Heilung zu sein. Niemand muss den neuen alten Körper lieben, ja nicht einmal in der jetzigen Form akzeptieren, aber er hat es verdient, gepflegt und für seine Leistung respektiert zu werden. Jede:r hat ein Recht auf den eigenen Körper, und dazu zählt auch die Entscheidung, wie viel Berührung gewünscht ist und von wem. Im Wochenbett erfahren viele Mütter ungewöhnlich viel Berührung, vorwiegend durch den Säugling, für den Körperkontakt ein Grundbedürfnis darstellt. Das kann wunderschön, aber auch überfordernd sein, und manchmal ist die eigene Toleranzgrenze erreicht. Das ist in Ordnung. Auszeiten, in denen der Körper seine Ruhe finden kann, sind mehr als empfehlenswert.


neugeborenes gestreichelt und gehalten von schwester und mama
Zärtliches Kennenlernen

Alles andere als perfekt.

Wer kennt sie nicht: die entspannten, schönen und glücklichen Eltern auf Spielplätzen, in Restaurants

oder in den Sozialen Medien. Schnell ist ein Vergleich hergestellt, die innere kritische Stimme wird laut und gibt ungefragt Anweisungen, Ratschläge und negative Kommentare. Und so nehmen wir uns vor, selbst mehr zu werden wie diese Ideal-Eltern, die wir kaum kennen und über deren Leben wir

wenig wissen.


Wie wäre es, das Ideal vom Podest zu heben und die Authentizität an seine Stelle zu setzen? Denn wäre es nicht furchtbar für ein Kind, perfekte Eltern zu haben, deren Ideal es niemals erreichen kann? Kein Raum für Fehler, kein Platz auch den Eltern etwas beizubringen, kein „Sich-gemeinsam- entwickeln“. Lassen wir die Perfektion als Ziel ziehen und sehen sie stattdessen als Inspiration: wir werden sie niemals erreichen, können aber entspannt in ihre Richtung spazieren. Und zwar gemeinsam mit unserem Kind, das unser authentisches Ich mit seinen Stärken und Schwächen kennenlernen darf.


Eine Frage des Wollens.

Der Spruch, um ein Kind großzuziehen braucht es ein ganzes Dorf, ist weit verbreitet. Aber auch Alleinerziehende begleiten, ganz ohne Dorf, wundervolle Kinder ins Erwachsenenleben. Die Frage zur Unterstützung sollte daher weniger sein, ob sie gebraucht wird, als vielmehr, ob sie gewünscht ist. Denn auch wenn keine akute Krise besteht und vielleicht sogar alles gut läuft, darf sich jede Mutter die Unterstützung holen, die sie will. Es ist nicht notwendig abzuwarten, ob die aktuelle Situation belastend wird oder sich zu fragen, ob man Unterstützung verdient hat. Hilfe soll erhalten, wer Hilfe möchte – sei es durch Freund:innen, Hebammen, Doulas oder eine Psychotherapeutin. In eigener Sache: Letztere ist nicht nur für Menschen mit psychischen Erkrankungen da, sondern für alle, die sich bei kleinen und großen Herausforderungen Begleitung wünschen.

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